EXTREMBERGSTEIGER PETER HABELER IM INTERVIEW
Ein Treffen um 8 Uhr schlug er energisch aus. Da schliefen die Bergsteiger noch, weil sie abends lange feierten. Ich kann mir vorstellen, wie dabei seine Augen verschmitzt blitzen. Seine gesellige, offene und freundliche Art lassen mich glauben, was er sagt. Doch seine Erfolge auf den höchsten Bergen der Welt strafen diesen Satz Lügen. Denn ich bin mir sicher, dass Bergsteiger und Professor Peter Habeler vorm Durchklettern und Besteigen von El Capitan, der Eiger Nordwand, Mount Everest, Nanga Parbat, Hidden Peak und vielen weiteren Felsen und Bergen früh munter war.
GRAWANDMAGAZIN: Du und Barbara, ihr habt eure Kindheit in den Bergen verbracht. Barbara als »Hüttenkind« und du, weil du die Berge von Kindesalter an geliebt hast. Was hat dich dazu bewogen, woher kam diese Leidenschaft?
Professor Peter Habeler: Mein Papa starb, als ich erst acht Jahre alt war, und meine Mama war eine Reisende, weshalb ich viel bei meiner Oma und meinem Opa war. Mein Opa war »inaktiver« Bergführer, der als Baumeister Alpinhütten gebaut hat. Und an ihrem Haus in Mayrhofen führte der Weg der Bergführer zum Postauto nach Ginzling vorbei. Mich
faszinierte, wie sie mit Rucksack, Seil und Pickel bepackt und mit dem großen Bergführerabzeichen auf der Brust an uns vorbeigingen. Da beschloss ich mit zehn, elf Jahren, Bergführer zu werden. Ich fühlte mich in den Bergen zuhause und auch in den Hütten. Die Bergführer wurden mir ein Ersatz für meinen Papa, die Hüttenwirtinnen für meine Mama. Ich war mit ein paar Schilling, ein bisschen Brot und Milch unterwegs und wurde als junger Bursch auf den Hütten oft mit einer Suppe verköstigt.
ZITAT:
Der Everest ist nicht besiegt, nicht bezwungen worden. Er hat mich lediglich geduldet.
Und wenn sich überhaupt von einem Sieg sprechen lässt, dann höchstens von einem Sieg über den eigenen Körper, über die Angst.Extermbergsteiger und Professor Peter Habeler
Würdest du sagen, dass es die Alpinhütten am Berg auch heute noch braucht, wo sich jeder online über die Witterungsverhältnisse informieren kann?
Ja, Alpinhütten gehören zum Alpinismus dazu. Auch wenn das Bewirtschaften nicht einfach ist und die Gäste oft schwierig. Mal ist es zu kalt, mal zu weit, zu hart oder zu schlechtes Wetter. Und auch wenn heute jeder den Wetterbericht am Smartphone in der Hosentasche mit sich trägt, die beste Auskunft gibt’s immer noch von den HüttenwirtInnen. Sie spüren die Kälte oder Hitze, kennen die Witterungsverhältnisse der letzten Tage und wissen, wie sich das Wetter entwickeln wird. Sie sprechen mit Bergführern und Rückkehrern und kennen die aktuelle Situation am Berg. Sie haben mehr Infos als Karl-Friedrich, wenn er sich online in Bielefeld den Wetterbericht vom Zemmgrund ansieht.
Damit sind wir bei der Grawandhütte im Zemmgrund. Welche Erinnerungen hast du daran?
Die Grawandhütte war für mich immer ein ganz wesentlicher Etappenpunkt am Weg in die Zillertaler Alpen. Wenn man den »Schinder« auf die Grawandhütte geschafft hatte, hatte man seinen »Wegzoll bezahlt« und es ging wieder flacher weiter. Ich kannte bereits die Großeltern von Hüttenwirtin Barbara. Ein Erlebnis mit Barbaras Opa, Wilhelm Steindl, ist mir in besonderer Erinnerung: Ich war gerade am Weg auf den Großen Möseler und Wilhelm seilte gerade einen Gast an, mit dem er über die östliche Möseler Scharte gehen wollte. Er selbst seilte sich nicht an und auf die verwunderte Frage des Gastes antwortet er bestimmt: »Ja meinst ich lass mich von dir mit runterreißen?«. Alles war gut ausgegangen und am Rückweg haben wir uns dann wieder getroffen.
Wie hat sich dann dein Weg vom kindlichen Wanderer zum weltbekannten Alpinisten entwickelt?
Bereits mit 16 Jahren kletterte ich schwierigste Fels- und Eistouren in den heimischen Alpen. Es war mir wichtig, den Berg mit all seinen Facetten kennenzulernen. Ich hatte bereits eine Fülle von äußerst intensiven und herrlichen Eindrücken am Berg erlebt, die mich formten und meinen Berufswunsch weiter bestärkten. Doch zuerst musste ich was »Richtiges« lernen. Also besuchte ich die Handelsschule in Feldkirch und zuvor die Glasfachschule in Kramsach. Dort begann ich, im Rofan zu klettern und verdiente mir im Sommer als Hilfsbergführer ein paar Schilling. Mit 21 Jahren machte ich dann meine Ausbildung zum Bergführer.
Du hast zu diesem Zeitpunkt bereits schwierigste Besteigungen in den Ost- und Westalpen gemacht, hast als Erster die Reichenspitze in der Südwest-Pfeiler-Verschneidung bestiegen und nach mehreren aufsehenerregenden Klettertouren im Yosemite Nationalpark in Kalifornien die Süd-West-Wand des El Capitan, die damals schwerste Klettertour der Welt, in kürzester Zeit bezwungen. Wobei bezwungen ein Wort ist, das du in Zusammenhang mit den Bergen nicht magst, wie ich aus einem Zitat von dir weiß.
Ja, das ist richtig. Wir bezwingen oder besiegen Berge nicht. Es ist eher so, dass wir dort geduldet werden. Für mich ist am wichtigsten, mit Freude die Berge zu besteigen. Heute haben so viele so eine übersteigerte Erwartungshaltung und sind unzufrieden, wenn was schiefgeht oder der Körper nicht mitmacht und wir den geplanten Gipfel nicht erreichen. Viele Bergsteiger brauchen die Erfolgserzählung für zuhause. Das ist unsinnig. Es gibt kein Scheitern am Berg, nur ein Umdrehen in aller Achtsamkeit. Das hat uns auch Corona gezeigt, dass wir nicht immer ein Ergebnis brauchen, sondern sich die We
lt auch weiterdreht, wenn wir vom Gas runterschalten, wenn es einem der gesunde Menschenverstand sagt. Diese »große Freiheit« im Gebirge, die gibt es nicht. Man muss aufpassen, achtsam sein und mit Entbehrungen zurechtkommen. Und damit meine ich nicht nur die heiße Dusche (ergänzt er augenzwinkernd, Anm.).
ZITAT:
Heute haben so viele so eine übersteigerte Erwartungshaltung und sind unzufrieden, wenn was schiefgeht oder der Körper nicht mitmacht und wir den geplanten Gipfel nicht erreichen.
Extrembergsteiger und Professor Peter Habeler
Du hast gemeinsam mit Reinhold Messner damals den Alpinismus mit leichter Ausrüstung und geringstem technischen Aufwand geprägt, der heute wieder sehr modern ist. Und du warst auf der ganzen Welt unterwegs. Sind dir die Zillertaler Alpen heute nicht langweilig?
Nein, ich habe immer noch dieselbe Begeisterung raufzugehen. Es ist ein Heimatgefühl hier in den Zillertaler Bergen, eine Erinnerung an meine Kindheit. Und dass ich hier noch wandere und klettere erinnert mich, dass ich Glück hatte, immer mit guten Menschen unterwegs zu sein und wieder gesund zurückzukommen von meinen Abenteuern.
Glück?
Ja, Glück brauchst du auch auf den Bergen. Alle meine 8.000er-Partner sind mittlerweile gestorben, außer Reinhold Messner. Heute bin ich natürlich nicht mehr so ungestüm und meine Ziele sind nicht mehr so hoch gesteckt. Wenn ich mit Gästen unterwegs bin, passe ich mich deren Tempo an. Alleine gehe ich sehr schnell, tanze und springe den Berg hinauf. Ich genieße es, Fuß vor Fuß zu setzen, bin ein leidenschaftlicher Geher, das ist für mich wie eine Art Mediatation. Langes Gehen, ausgedehntes Wandern – das ist Balsam für meine Seele und meinen Körper, ich fühle am Berg Kraft und Wärme.
Und das ist das Geheimnis deiner Fitness, um 2022 deinen 80. Geburtstag noch völlig aktiv zu feiern?
Was mich jung hält, sind meine Ziele, die meinem Können und meiner Verfassung entsprechen. Ich versetze vielleicht keine Grenzen in der Welt des Alpinismus oder der Kletterei mehr, doch meine eigenen lote ich regelmäßig aus.
Nur um aufzuzeigen, wo deine Grenzen liegen: 2017, also mit 75 Jahren, bist du mit dem mittlerweile verstorbenen Kletterer und Extrembergsteiger David Lama die Eiger-Nordwand in zwei Mal zehn Stunden mit Biwakieren in der Wand durchstiegen und damit der älteste Alpinist in der Nordwand.
Ja, das war ein besonderes Erlebnis.
Peter, herzlichen Dank für deine Zeit und das Gespräch mit dir!
Über Prof. Peter Habeler
Dem Zillertaler Peter Habeler gelangen spektakuläre Erstbegehungen in den amerikanischen Rocky Mountains, er war der erste Europäer an den Big Walls im Yosemite-Nationalpark in Kalifornien (USA) und kletterte als zwölfte Seilschaft, gemeinsam mit Doug Scott, die Route Salathé Wall in der El-Capitan-Südwestwand, welche damals eine der schwersten Mehrseillängentouren der Welt war. Im Jahr 1969 kletterte er erstmals mit Reinhold Messner in einer erfolgreichen Seilschaft. 1978 bestiegen sie als die ersten zwei Menschen den Mount Everest ohne künstlichen Sauerstoff. Es folgten Besteigungen der 8.000er Cho Oyu, Nanga Parbat, Kangchendzönga und Hidden Peak. Habeler gründete 1993 in Mayrhofen die Ski- und Alpinschule Mount Everest, in der er immer noch aktiv ist. Für seine herausragenden alpinistischen Leistungen wurde der Zillertaler im Jahr 1999 von der österreichischen Bundesregierung mit dem Berufstitel »Professor« ausgezeichnet. Peter Habeler hat zwei Söhne und lebt mit seiner Lebensgefährtin in Tux im Zillertal.
Anlässlich seines 75. Geburtstagesdurchstieg Peter Habeler im Alter von 74 Jahren erneut die Eiger-Nordwand gemeinsam mit dem danach verunglückten David Lama. Peter Habeler ist damit der älteste Bergsteiger,dem das gelungen ist.